Mein Interview in der AGRA-EUROPE vom 28.01.2019

Anlässlich des aktuellen Positionspapiers „Unser Vorschlag für eine Gute Gemeinsame Agrarpolitik“ der SPD-Bundestagsfraktion habe ich AGRA-EUROPE ein Interview gegeben, das am 28.01.2019 veröffentlich wurde. In dem Positionspapier fordern wir eine völlige Neuausrichtung des europäischen Agrarfördersystems (GAP) weg von dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“ hin zu „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“. Wir wollen diesem Anspruch gerecht werden und eine Brücke zu einer fairen und nachhaltigen Agrarförderung bauen. Vor diesem Hintergrund folgt in dieser Positionierung eine ambitionierte und radikale Auslegung des vorgelegten Vorschlags der EU-Kommission zur Reform der GAP. Nur auf diesem Weg kann auf die vielschichtigen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen im Rahmen der europäischen Architektur reagiert werden.

 

 

___________________________________________________________________________

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Matthias Miersch, über gerechte Agrarpolitik, unterschiedliche Auffassungen in seiner Partei und der Koalition sowie schwindende Geduld mit der Bundeslandwirtschaftsministerin

AGRA-EUROPE: Was ist für Sie eine „gerechte Agrarpolitik“?

Miersch: Gerechte Agrarpolitik besteht darin, dass wir für die Bevölkerung hochqualitative und bezahlbare Lebensmittel unter Bedingungen produzieren, von denen Mensch, Tier und Natur profitieren – und zwar auch langfristig.

AGRA-EUROPE: „Das derzeitige Agrarfördersystem der EU ist ungerecht“, heißt es im Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion zur GAP nach 2020. Worin besteht die Ungerechtigkeit?

Miersch: Dass 20 % der Betriebe 80 % der Fördergelder bekommen, ist absolut ungerecht. Ungerecht ist auch, dass Betriebe öffentliches Geld bekommen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, ob das, was sie tun, dem Gemeinwohl dient.

AGRA-EUROPE: Garantiert Ihr Vorschlag, Direktzahlungen künftig nur noch für konkrete Leistungen im Umwelt-, Klima- und Tierschutz zu gewähren, eine ausgewogenere Verteilung?

Miersch: Davon bin ich überzeugt. Voraussetzung sind allerdings Förderbedingungen, die dafür sorgen, dass tatsächlich Qualität gefördert wird, und nicht Masse.

AGRA-EUROPE: Können Sie mit dem Begriff der „Leistungsgerechtigkeit“ leben?

Miersch: Ja. Allerdings muss Leistungsgerechtigkeit definiert werden. In der Landwirtschaft kommt dabei dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur eine entscheidende Rolle zu.

AGRA-EUROPE: Teilen Sie die Einschätzung von Wissenschaftlern, dass die Erbringung öffentlicher Leistungen keine Frage der Betriebsgröße ist?

Miersch: Das trifft im Kern zu. Allerdings beobachten wir in der Landwirtschaft eine Entwicklung des „Immer höher, immer weiter, immer mehr“. Wir müssen aufpassen, dass dies nicht zu einer Agrarstruktur führt, die von wenigen Großen dominiert wird.

AGRA-EUROPE: Direktzahlungen in ihrer bisherigen Form wirken tendenziell eher strukturkonservierend, so die Analyse von Agrarökonomen. Sie wollen raus aus der Einkommensstützung durch Direktzahlungen. Wie wirkt sich Ihr Vorschlag auf die Strukturentwicklung in der Landwirtschaft aus?

Miersch: Das werden wir genau beobachten. Wir werden aufpassen, dass es nicht zu Strukturbrüchen kommt. Daher muss es in der Förderung künftig auch eine soziale Komponente geben. Bis 2028 soll jeder Betrieb gehalten sein, umwelt-, klima- und tiergerecht zu wirtschaften. Dabei sind dann eben auch soziale Aspekte zu berücksichtigen.

AGRA-EUROPE: Was heißt das?

Miersch: Wir müssen Rücksicht auf gewachsene Strukturen nehmen. Das gilt beispielsweise für Betriebe in Ostdeutschland, die viele Mitarbeiter haben und ihnen qualitativ gute Arbeitsplätze bieten. Hier werden wir dafür sorgen müssen, dass diese Betriebe nicht in Schwierigkeiten geraten. Aber generell gilt: Jeder Betrieb soll künftig gehalten sein, sich an dem Grundsatz „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ zu orientieren.

AGRA-EUROPE: Die Sozialdemokraten im Europaparlament schlagen eine strikte Kappungsgrenze von 60 000 Euro je Betrieb vor. In Ihrer Fraktion gibt es ähnliche Stimmen. In Ostdeutschland, wo die SPD in zwei Landwirtschaftsministerien Verantwortung trägt, ist das Thema „Kappung“ tabu. Was will die SPD?

Miersch: Diese Debatte müssen wir führen. Die Position der S&D-Fraktion im Europaparlament trägt der Tatsache Rechnung, dass die Agrarstrukturen und damit die Agrarpolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich sind. Unser Fraktionspapier verweist auf den steigenden Spielraum der Mitgliedstaaten, in denen es jeweils Lösungen zu finden gilt. Für Deutschland muss Qualität ganz nach oben gesetzt werden. Kappung und Degression sind für mich nicht erste Wahl. Unabhängig davon, wie die GAP nach 2020 aussieht, können wir schon jetzt den Spielraum für eine stärkere Umschichtung von der Ersten in die Zweite Säue nutzen. Ich bin dafür, die vollen 15 % umzuschichten.

AGRA-EUROPE: Auch dafür finden Sie keine Unterstützung bei den beiden SPD-Länderagrarministern.

Miersch: Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich mit sehr großer Mehrheit hinter dieses Papier gestellt, in dem auch die Umschichtung von der Ersten in die Zweite Säule enthalten ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in der gesamten Partei dafür Unterstützung bekommen.

AGRA-EUROPE: Welche Agrarstruktur will die SPD?

Miersch: Es geht für uns nicht um die Frage von groß oder klein. Es gibt sowohl große Betriebe, die den Anforderungen an Tiergerechtigkeit, an Artenvielfalt und andere Umweltbelange Rechnung tragen, als auch kleine Betriebe, für die das zutrifft und die regional verankert sind. Unser Leitbild beruht auf Nachhaltigkeit, also einer zukunftsgerechten und für nachfolgende Generationen zu erhaltenden Landwirtschaft.

AGRA-EUROPE: Wollen Sie den Strukturwandel beeinflussen?

Miersch: Das ist die Aufgabe von Politik. Wir müssen Steuergelder vernünftig einsetzen sowie den Rahmen durch das Ordnungsrecht vorgeben. Die Fehlanreize, die wir in den letzten Jahrzehnten in der Agrarpolitik gesetzt haben, haben dazu geführt, dass wir die Ökosysteme überfordert haben. Die Folgekosten haben nachfolgende Generationen zu tragen. Deswegen müssen wir umsteuern. Wir werden Frau Klöckner zwingen, einen Paradigmenwechsel in der deutschen Landwirtschaft herbeizuführen.

AGRA-EUROPE: Wie wollen Sie Frau Klöckner zwingen?

Miersch: Indem wir den Koalitionsvertrag ernst nehmen: Zum einen die Förderkulisse umstellen, zum anderen die gesetzlichen Rahmenbedingungen so setzen, dass es zum Beispiel mehr Tierschutz gibt. Das Thema Ferkelkastration hat uns allen vor Augen geführt, wie fahrlässig es war, auf Zeit zu spielen, vom Ministerium, aber auch von weiten Teilen des Deutschen Bauernverbandes. Das darf nie wieder passieren. Der Entschließungsantrag der Koalition muss mit Leben erfüllt werden.

AGRA-EUROPE: Das Bundeslandwirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium ringen offenbar noch um eine einheitliche Position zur GAP. Wird es einen gemeinsamen Antrag von Union und SPD geben?

Miersch: Ich bin sehr für ein selbstbewusstes Parlament. Dieses Parlament sollte sich in dieser zentralen Frage der GAP nach 2020, bei der es um viel Steuergeld geht, positionieren. Ich räume aber ein, dass die koalitionsinternen Gespräche in diesem Bereich nicht einfach sind. Die Agrarpolitik, aber auch die Umweltpolitik sind schwierige Themenfelder zwischen CDU/CSU und SPD. Wenn man sich von Seiten der CDU/CSU über das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ nähern würde, wäre man sehr schnell mit uns einigungsfähig. Ich bleibe optimistisch.

AGRA-EUROPE: Einer der Hauptkritikpunkte an der gegenwärtigen GAP ist das hohe Maß an Bürokratie. Welchen Beitrag leistet Ihr Vorschlag einer weiteren Aufsplittung der Direktzahlungen zum allseits geforderten Bürokratieabbau?

Miersch: Ich bin sehr dafür, bestehende Vorschriften zu durchforsten und Überflüssiges zu streichen. Da müssen wir aber genau hinschauen. Die pauschale Forderung nach Bürokratieabbau reicht mir nicht. Ohne Rahmensetzung und Kontrolle geht es nicht. Die von uns vorgeschlagene Verlagerung der Umweltförderung in die Erste Säule wird jedenfalls nicht automatisch zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand führen.

AGRA-EUROPE: Steht die SPD zur Aussage im Koalitionsvertrag, die Mittel für den europäischen Agrarhaushalt möglichst nicht zu reduzieren?

Miersch: Ja. Voraussetzung ist allerdings, dass wir den Paradigmenwechsel hin zu mehr Tierschutz sowie Umwelt- und Klimaschutz einleiten. Die dafür eingesetzten öffentlichen Gelder liegen im Interesse der Allgemeinheit. Ein „Weiter so“ und eine Verteilung der Mittel mit der Gießkanne ohne Gegenleistung darf es jedoch nicht mehr geben.

AGRA-EUROPE: Die von Ihnen geforderte weitreichende Neuausrichtung der GAP hat in Brüssel kaum Chancen. Das hat zuletzt auch die Bundesumweltministerin eingeräumt. Im Gegenteil, es mehren sich die Stimmen, denen zufolge der Hogan-Vorschlag noch verwässert werden könnte. Welche Relevanz hat dann Ihr GAP-Papier?

Miersch: Warten wir es ab, noch ist alles offen. Wir machen deutlich, wohin unserer Auffassung nach die Reise gehen sollte. Das wird nicht ohne Wirkung bleiben.

AGRA-EUROPE: Was sollte mindestens in den Verhandlungen erreicht werden?

Miersch: Wir müssen erstens bei den Umweltstandards einen Wettbewerb nach unten verhindern, wenn die Mitgliedstaaten mehr Entscheidungskompetenz erhalten. Wir müssen zweitens dafür Sorge tragen, dass die Mittel für die Zweite Säule nicht, wie bislang vorgesehen, überproportional abgesenkt werden. Und drittens müssen wir künftig so viel Geld wie möglich zur Entlohnung von konkreten Leistungen für eine nachhaltigere Landwirtschaft einsetzen.

AGRA-EUROPE: Die Verlagerung von Kompetenzen in die Mitgliedstaaten bedeutet automatisch, dass die agrarpolitische Auseinandersetzung noch mehr zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern geführt wird. Welche Rolle ist der SPD in dieser Auseinandersetzung zuzutrauen?

Miersch: Die SPD trägt Regierungsverantwortung in wichtigen Agrarländern wie Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Das Thema „Ernährung und Gerechtigkeit“ ist für uns von großer Bedeutung. Wir werden uns also weiter mit Nachdruck in die Diskussion einbringen.

AGRA-EUROPE: Man konnte zuletzt den Eindruck gewinnen, dass insbesondere landwirtschaftliche Fragen für die SPD keine große Rolle spielen. Wird sich das ändern?

Miersch: Auch im Rahmen unseres Erneuerungsprozesses führen wir eine intensive Debatte über Umwelt, Ernährung und Nahrungsmittelproduktion. Was gut produziert ist, muss auch für jeden in Deutschland erschwinglich sein. Eine gute Ernährung darf nicht nur den Besserverdienenden überlassen bleiben, das ist eine unserer Kernpositionen. Wenn die gesellschaftliche Debatte in den nächsten Jahren an Fahrt gewinnt, sind wir mitten drin. Unser GAP-Papier zeigt, dass wir diese Fragen ernst nehmen.

AGRA-EUROPE: Was ist der Markenkern der SPD-Agrarpolitik?

Miersch: Für uns geht es um den gesellschaftlichen Nutzen der Agrarpolitik. Wir diskutieren über Parameter, die für eine gerechte, solidarische Struktur in diesem Bereich notwendig sind. Gerechtigkeit ist ein zentraler Begriff. Das beginnt bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der gesamten Kette, reicht über gesunde Lebensmittel auch für ärmere Bevölkerungsschichten und führt zu tiergerechter Haltung. Die Produktionsbedingungen müssen so sein, dass Mensch, Tier und Natur zu ihrem Recht kommen.

AGRA-EUROPE: Vor allem junge Landwirte sind zu Änderungen in der Haltung ihrer Tiere bereit, stoßen aber immer wieder an rechtliche Grenzen, etwa im Baurecht. Kann die SPD helfen?

Miersch: Ich bin bereit, über das Baurecht nachzudenken, wenn es darum geht, tiergerechte Stallungen zu bauen. Da sind Anpassungen notwendig. Wir wollen diejenigen Landwirte unterstützen, die tatsächlich umsteuern wollen.

AGRA-EUROPE: Ein wirksames Instrument für mehr Tierwohl kann eine Kennzeichnung für Produkte sein, die zu höheren Standards erzeugt wurden. Wie stehen Sie zum staatlichen Tierwohllabel der Bundeslandwirtschaftsministerin?

Miersch: Bis jetzt kennen wir im Detail noch kein Konzept des Ministeriums. Nach der Verständigung des Handels auf eine einheitliche Haltungskennzeichnung stellen sich mir mit Blick auf ein staatliches Label mehrere Fragen. Zum Beispiel: Muss dieses Label nicht doch verpflichtend sein? Wie sehen die Kriterien konkret aus, und erreichen wir tatsächlich mehr Tierwohl und mehr Klimaschutz? Und schließlich, wie wird das Parlament eingebunden? Eine Verordnungsermächtigung als Blankoscheck für das Ministerium lehne ich ab.

AGRA-EUROPE: Während es in diesen Fragen offenbar größere Schnittmengen zwischen den Koalitionsparteien zu geben scheint, könnte sich ein neuerlicher Konflikt im Bereich Gentechnik anbahnen. Ist die SPD bereit, über mögliche Schussfolgerungen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu molekularbiologischen Züchtungsmethoden zu sprechen?

Miersch: Das Urteil des EuGH ist eindeutig: Die sogenannten neuen Züchtungsmethoden sind Gentechnik. Damit unterliegen sie dem Gentechnikrecht. Wir werden es daher unter keinen Umständen zulassen, die EuGH-Entscheidung zum Anlass für Lockerungen in der EU-Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu nehmen. Das wäre genau das Gegenteil dessen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Die derzeitige Diskussion in den Reihen der CDU nehme ich daher mit wachsendem Erstaunen zur Kenntnis

AGRA-EUROPE: Bliebe noch die Umsetzung der Brüsseler Opt-out-Richtlinie…

Miersch: Auch da geht unsere Geduld zu Ende. Nachdem die Ministerin inzwischen fast ein Jahr lang Zeit zur Einarbeitung gehabt hat, verlangen wir endlich Taten. Ich erwarte, dass Frau Klöckner in den nächsten Wochen klarstellt, wie die im Koalitionsvertrag vereinbarte Opt-out-Lösung gesetzlich geregelt werden soll. Passiert das nicht, werden wir dem ganzen Nachdruck verleihen.

AGRA-EUROPE: Wie?

Miersch: Wenn die Ministerin im Bereich Gentechnik nicht koalitionstreu arbeitet, wird sie kein Gesetzesvorhaben im Agrarbereich mehr durchsetzen.

AGRA-EUROPE: Vielen Dank für das Gespräch. AgE

 

Hinweis: Dieses Interview wurde erstmals am 28.01.2019 auf der Homepage von AGRA-EUROPE veröffentlicht.