Am gestrigen Donnerstag habe ich der Stuttgarter Zeitung zusammen mit Andreas Jung ein als Streitgespräch angelegtes Interview zur Klimapolitik geben:
Wo waren Sie beide am 12. Dezember 2015?
Miersch: Wir waren beide in Paris dabei, als das Weltklimaabkommen beschlossen wurde. Nach vielen erfolglosen Konferenzen zuvor gelang endlich der Durchbruch.
Warum hat es fast vier Jahre gedauert, um sich an die Umsetzung zu machen?
Miersch: Dass die bisherigen Maßnahmen nicht reichen, wussten wir schon nach der Bundestagswahl, lange vor Greta Thunbergs Klimastreik – deswegen stehen Kohleausstieg und Klimaschutzgesetz im Koalitionsvertrag. Seither arbeiten wir daran und biegen nun auf die Zielgerade ein.
Gelingt Ihnen wirklich ein großen Wurf?
Jung: Wir müssen diese Kraft aufbringen. Wir tragen Verantwortung, da unser CO2-Ausstoß pro Kopf doppelt so hoch ist wie im weltweiten Schnitt. Wir verfehlen das Klimaziel 2020. Das müssen wir schnell nachholen und glaubwürdig darlegen, wie wir das Ziel 2030 schaffen.
Bisher entsteht der Eindruck, Union und SPD machten sich getrennt auf den Weg. Wo hakt es noch am meisten?
Miersch: Das Thema Ökostrom kann eine richtige Sollbruchstelle werden. Im Koalitionsvertrag steht, dass erneuerbare Energien 2030 einen Anteil von 65 Prozent erreichen sollen. Wir verabschieden uns von der Stromerzeugung aus Kohle und Atom und brauchen neue Wege Strom zu generieren. Daher sind die Erneuerbaren entscheidend. Das müssen wir jetzt anstoßen, von der Union höre ich aber nur, dass es für mehr Windparks auf dem Land keine Akzeptanz mehr gebe und die Anlagen wie in Bayern mindestens zwei Kilometer vom nächsten Ort entfernt sein müssten. So erreichen wir das Ziel nicht und können uns den Kohleausstieg und auch die Verkehrswende schenken – der Umstieg auf Ökostrom hängt davon ab, dass in Zukunft ausreichend alternative Energien verfügbar sind. Leider scheint die Union das nicht zu erkennen.
Jung: Einspruch! Wir wissen genau, dass ein „Weiter so“ nicht der Weg sein kann und wir uns Schritt für Schritt von den fossilen Energieträgern lösen müssen. Das geht nur mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, des Stromnetzes und besserer Speichertechnik. Da stelle ich in der Union viel Bewegung fest, ein „Aufforsten“ unserer Klimapolitik – Akzeptanz in der Bevölkerung dafür ist aber zentral.
Was dürfen Haus- und Wohnungsbesitzer von Ihnen erwarten? Von Abwrackprämien für alte Ölheizungen war schon die Rede.
Jung: Der Wärmemarkt ist der schlafende Riese der Energiewende. Wir haben mehrfach die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung angestoßen, über einen nationalen Klimakonsens wollen wir verhindern, dass sie wieder in den föderalen Mühlen des Bundesrats hängenbleibt. Die Hürden werden niedrig sein – man soll nicht das ganze Haus sanieren müssen, um Steuern zu sparen. Das hat bisher viele Eigentümer abgeschreckt. Und ja, zusätzlich dazu wollen wir eine Abwrackprämie für ineffiziente Heizungen einführen.
Geht die SPD bei diesen Vorschlägen mit?
Miersch: Ja, im Gebäudebereich stimmen wir bei den Maßnahmen überein. Strittig sind Details. Nehmen Sie die Ölheizungen: Da ist es mit Abschreibungen oder günstigen Darlehen nicht getan – sonst lassen wir die Menschen finanziell ins Verderben laufen. Der steigende CO2-Preis wird Heizöl kontinuierlich verteuern, sodass sie irgendwann auf ein neues Heizsystem umsteigen müssen – das kann sich aber nicht jeder leisten. Also muss der Staat den Umstieg großzügig bezuschussen.
Geht das mit einem ausgeglichenen Etat?
Miersch: Ich widerspreche der Leitlinie der Union, die sich von der schwarzen Null her dem Klimaschutz nähert. Meine Leitlinie sind die Klimaziele 2030, die wir nur mit großer Anstrengung und zugleich großer Akzeptanz in der Bevölkerung erreichen. Der Staat muss dafür an vielen Stellen massiv investieren.
Jung: Die schwarze Null ist nicht irgendeine Haushaltszahl, sondern Ausdruck von Generationengerechtigkeit. Wir wollen sie ergänzen mit der grünen Null, die für Klimaneutralität 2050 steht. Das wollen wir erreichen, ohne unseren Kindern riesige Schuldenberge zu hinterlassen. Trotzdem ist richtig, dass wir Geld brauchen. Da müssen wir Prioritäten setzen. Zudem gibt es Überlegungen, über eine Stiftung oder Klimaanleihen Mittel zu generieren, ohne die schwarze Null zu gefährden.
Miersch: Ob schwarze, grüne oder rote Null ist mir egal. Entscheidend ist, dass wir ein Klimaziel einzuhalten haben. Wie wir es erreichen, können wir klären, mit der Natur können wir nicht verhandeln. Also müssen die richtigen Maßnahmen am Anfang aller Überlegungen stehen und nicht die schwarze Null. Die Folgekosten für spätere Generationen werden viel höher sein, wenn wir jetzt zu wenig tun – das ist unsere Form der Generationengerechtigkeit.
Wo ist der Investitionsbedarf?
Miersch: Wir werden jetzt den Mehrwertsteuersatz für Zugtickets senken. Aber damit ist die Bahn noch lange nicht die klimafreundliche Alternative schlechthin: Wir können verbilligte Jahrestickets anbieten – wenn im Nah- und Regionalverkehr Kapazitäten fehlen, haben wir wenig gewonnen. Neue Strecken und Züge fallen nicht vom Himmel. Das gilt auch für die Ladeinfrastruktur im Bereich der Elektromobilität. Bürgerstiftungen und Ökoschatzbriefe können diese Investitionen durchaus mitfinanzieren, aber ohne deutlich mehr Investitionen des Staates geht es nicht.
Wir dachten eher, die Koalition streite darüber, ob ein CO2-Preis über einen Zertifikatehandel oder eine Steuer entstehen soll.
Jung: Erst einmal würde ich eines gerne festhalten: Beide Koalitionspartner sind sich einig, dass es in Zukunft einen CO2 -Preis im Verkehrs- und Gebäudesektor geben wird – das war vor einigen Monaten noch nicht klar. Nur über den Weg dorthin sind wir uns noch nicht ganz einig.
Miersch: Wir dürfen nicht allein auf den Zertifikatehandel setzen. Sonst könnten wir in eine Situation kommen, dass der CO2-Marktpreis ins Unermessliche steigt. Wird ein solches Handelssystem nicht mit Schranken versehen, kann es zu großen gesellschaftlichen Verwerfungen kommen.
Jung: Genau solche Schranken schlagen wir vor! Die Zertifikate bekommen einen Mindestpreis, um die Klimaschutzwirkung zu garantieren, und einen Höchstpreis als soziale Haltelinie. Auf dieser Basis müssen wir uns doch einigen können, oder?
Miersch: Beim CO2-Preis werden wir zusammenfinden, wenn die Union nicht auf ein eiskaltes marktwirtschaftliches Instrument in Reinform besteht, sondern mit uns sozial verträgliche Preisgrenzen festsetzt. Wir müssen das moderat anlegen.
Jung: Wir könnten mit einem Fixpreis von etwa 30 Euro pro Tonne einsteigen und davon ausgehend ein Handelssystem ausformen. Das ist moderat. Die Bürger können sich darauf einstellen, dass die Preise im Lauf der Zeit schrittweise steigen – und umsteigen auf ein stärker gefördertes Elektroauto, für das es dann eine flächendeckende Ladeinfrastruktur gibt, oder einen besser ausgebauten ÖPNV.
Miersch: Dafür müssen wir nicht nur in den Großstädten, sondern auch auf dem Land etwas tun. Wenn wir nicht rechtzeitig Verkehrsalternativen zur Verfügung stellen, wird der Unmut groß sein.
Jung: Benzin und Diesel werden Schritt für Schritt teurer, Mobilität unterm Strich aber nicht. Wir wollen die Pendlerpauschale mit dem Benzinpreis synchronisieren. Für Fahrten mit einem Öko-Auto oder dem öffentlichen Nahverkehr soll sie einen zusätzlichen Anreiz zum Umstieg zu bieten. Auch für einen Ausbau des ÖPNV gibt es einen Vorschlag: Wir sollten mit Ländern und kommunalen Spitzenverbänden darüber reden, die Lkw-Maut auf alle Straßen auszudehnen und die Einnahmen gezielt in den Nahverkehr stecken.
Wie überzeugen Sie mehr Menschen von sparsamen Elektroautos? Bisher sind die Zahlen bekanntlich enttäuschend.
Jung: Heute ist es leider so: Wer etwas für die Umwelt tut und sich ein Öko-Auto kauft, zahlt drauf. Künftig muss es umgekehrt sein. Daher halte ich es für richtig, die Kfz-Steuer nicht mehr nach dem Hubraum, sondern nach dem CO2-Ausstoß zu bemessen – mit spürbaren finanziellen Unterschieden. So sollten wir auch bei Dienstwagen vorgehen: Im Kabinett hat diese Koalition bereits auf den Weg gebracht, dass für klimafreundlichere Autos nicht mehr ein, sondern nur noch ein halbes Prozent Steuern fällig sind. Ich persönlich bin der Meinung, bei Neuwagen mit einem hohen Ausstoß, etwa ab 200 Gramm CO2 pro Kilometer, sollte der Satz auf eineinhalb Prozent hochgehen.
Miersch: Das mit den Dienstwagen können wir gemeinsam so beschließen. Beim privaten Neuwagenkauf brauchen wir Staatszuschüsse. Gute Elektrofahrzeuge liegen preislich in einem Bereich, den sich viele Menschen nicht leisten können.
Es gibt viel Konsens, aber auch viele Differenzen. Wie lösen Sie die so schnell auf?
Miersch: Wir haben vor anderthalb Jahren vereinbart, dass bis Ende 2019 beim Klimaschutz gehandelt werden muss – seitdem wissen die Ministerien was Sache ist. Nun steigt der Druck im Kessel, wir müssen mehr als Überschriften beschließen. Es braucht ein konkretes Klimapaket.
Jung: Das traue ich uns zu, da nicht nur klimapolitisch viel auf dem Spiel steht, sondern auch für die Regierungsfraktionen. Die wichtige Halbzeitbilanz steht bevor, und ein Streit zwischen Union und SPD würde vielen nützen, nur nicht uns.