03/2021 das war eine denkwürdige Sitzungswoche. Noch nie hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine Entscheidung entschuldigt und eine Entscheidung sodann zurückgenommen. Am Mittwoch dieser Woche hat sie es getan, und zwar zu einem Zeitpunkt starker Verunsicherung und Polarisierung in der Gesellschaft. Aufgrund der vielen Reaktionen auch aus dem Wahlkreis weiß ich, wie aufgeheizt die Stimmung an vielen Orten ist. Gleichzeitig gehen die Meinungen weit auseinander. Während einige viel stärkere Einschränkungen fordern, treibt andere die blanke Existenzangst um. Parallel dazu erleben wir aufgrund der Maskenaffäre und weiterer Korruptionsvorwürfe bei CDU/CSU einen Vertrauensverlust gegenüber „der Politik“. Als Vertreter des Wahlkreises im Deutschen Bundestag fühle ich mich deshalb verpflichtet, mit dieser Persönlichen Erklärung erneut die Dinge aus meiner Sicht einzuordnen, wenngleich ich weiß, dass sich über viele Aspekte trefflich streiten lässt. Diese Pandemie kennt keine vorgefertigte Lösung. Wir sehen weltweit, wie in vielen Ländern unterschiedliche Lösungsansätze immer wieder neu versucht werden. Wir sehen, wie sich Zahlen verändern. Mich ärgert, wenn Länder wie Taiwan als Beispiel für die Bundesrepublik Deutschland herangezogen werden. Wir leben in einem föderalen Rechtsstaat mitten in Europa und sind keine Insel! Klar, in der Geschichte der Menschheit sind Krankheiten ausgerottet worden. Aber ist es wirklich vernünftig und realistisch, eine Null-Covid-Strategie zu verfolgen, wie von einigen Virologen immer noch propagiert? Wir haben als Deutscher Bundestag mit dem Infektionsschutzgesetz den Handlungsrahmen für die Bundes- und Landesregierungen geschaffen, in dem sich jetzt bewegt werden muss. Dort sind die unterschiedlichen Parameter eingezogen, an denen sich die Einzelmaßnahmen der Bundes- und Landesregierungen orientieren müssen. In den letzten Monaten sind nicht wenige Entscheidungen durch Gerichte gekippt worden, da die Verhältnismäßigkeit oder andere Gesichtspunkte vernachlässigt wurden. Das zeigt, dass in unserem föderalen Rechtsstaat die Gewaltenteilung funktioniert. Problematisch wird es allerdings, wenn Entscheidungen von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr nachvollzogen werden können. Das ist letzten Dienstag geschehen. Fehler können überall geschehen. Und da über Kanzlerin und Ministerpräsident:innen nahezu jede Partei an diesem Fehler beteiligt gewesen ist, kann sich auch keiner allzu leicht aus der Verantwortung stehlen. Mich treibt eher die Art und Weise des Zustandekommens um: Viel zu oft wurde in Nachtsitzungen über wichtige Dinge entschieden. Das ist falsch. Leider konnte ich mich im Mai letzten Jahres nicht mit der Forderung durchsetzen, im Bundestag ein Corona Gremium einzurichten, das mit Abgeordneten der unterschiedlichen Fachrichtungen hätte besetzt sein sollen. Natürlich ist es nicht Aufgabe des Parlaments, Einzelentscheidungen zu treffen. Allerdings braucht es Orte, an denen transparent und nachvollziehbar über den besten Weg gestritten wird – gerade in Zeiten, in denen es keine Blaupausen gibt. Diese fehlen bislang. Ich hoffe sehr, dass jetzt richtige Lehren gezogen werden. Zumindest haben wir jetzt im Bundestag ein Gremium beschlossen, das als Unterausschuss interdisziplinär besetzt dem Bundestag zuarbeiten soll. Was ist sonst noch notwendig? In meiner Persönlichen Erklärung vom 04.11.2020 habe ich auf notwendige Strategien und auf die Fragen hingewiesen, welche Rolle z.B. Tests spielen können. Monate später müssen wir leider feststellen, dass es weiter an ausreichenden Testkapazitäten an vielen Orten fehlt. Wir sehen, dass auch die Impfstrategie vielerorts nicht richtig funktioniert. Das kann und muss sich in den nächsten Wochen ändern. Auf der anderen Seite sehen wir steigende Zahlen und Mutationen, deren Folgen noch nicht abschätzbar sind. Ich bin kein Virologe und nehme für mich nicht in Anspruch, die wahre Lösung zu haben. Ich sehe aber die weitreichenden Folgen für Kinder und Familien und z.B. weite Teile von Selbständigen, deren Lebenswerk gerade zerplatzt, obwohl in den letzten Monaten Hygienekonzepte entwickelt wurden. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass zwischen Lockdown und pauschaler Rückkehr zum alten Leben Brücken liegen, die jetzt aufgezeigt werden müssen. Mit zunehmender Impfquote und hoffentlich täglich steigenden Testkapazitäten werden Perspektiven geschaffen werden müssen, so wie es in Tübingen oder jetzt in der Region Hannover beginnt. Natürlich kann es dabei auch immer wieder zu Rückschlägen kommen. Ein Denkmuster, das aber mehr oder weniger immer den Lockdown als Lösungselement vorsieht, halte ich für falsch. Die geografische Lage Deutschlands in Europa und die große Unsicherheit mit möglichen Mutationen verlangen breitere Lösungsansätze. Gleichzeitig werden in den kommenden Wochen die Impf- und Testkapazitäten massiv ausgebaut werden, so dass weitergehende Möglichkeiten geschaffen werden. Ich hoffe sehr, dass der Diskurs darüber jetzt offensiv auf allen Ebenen geführt wird. Welche Rolle soll die SPD in der Bundesregierung einnehmen? Natürlich bin ich seit Mittwoch mehrfach von Journalisten gefragt worden, ob die SPD jetzt der Kanzlerin nicht das Vertrauen entziehen müsse. Ich halte von diesen typischen Berliner Reaktionsmechanismen wenig. Die Bevölkerung hat gerade in diesen Zeiten Anspruch auf Stabilität, wenngleich das Problem der Mithaftung in einer Regierung stets besteht. Deshalb finde ich es ebenso richtig und wichtig, sich auch innerhalb einer Regierung klar zu positionieren, wenn Dinge falsch laufen. Das Missmanagement, das in den Bereichen von Impfstoffbeschaffung und Testkapazitäten in den letzten Monaten erkennbar wurde, hat Gesundheitsminister Spahn zu vertreten. Die schleppende Auszahlung der Wirtschaftshilfen lag primär in der Verantwortung von Bundeswirtschaftsminister Altmaier. Das darf und muss gesagt werden, ohne gleich eine Oppositionsrolle in der Regierung einzunehmen. Gleichzeitig kann und muss betont werden, dass es die SPD-geführten Ministerien sind, die dank sozialdemokratischer Grundprinzipien z.B. Kurzarbeitergeld und Wirtschafts- und Familienhilfen wie fast in keinem anderen Land gegen weite Teile der CDU/CSU durchgesetzt haben. Und wir müssen nun auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellen, wenn es um die dringend notwendigen Reformen des Abgeordnetengesetzes oder der Geschäftsordnung geht. Mit dem gestern beschlossenen Lobbyregister ist ein erster wichtiger Schritt erfolgt, dessen Durchsetzung noch vor einigen Wochen mit CDU/CSU als nicht machbar erschien. Die kommenden Monate Die kommenden Monate werden entscheidend. Ich hoffe sehr, dass zunehmende Impf- und Testkapazitäten die oben dargestellten Dinge ermöglichen. Gleichzeitig wird der bevorstehende Bundestagswahlkampf ins Zentrum rücken. Aktuell scheinen die Grünen am meisten von der Schwäche der CDU/CSU zu profitieren. Daran kann sich noch viel ändern. Ich bin sicher, dass die Bevölkerung in den kommenden Wochen zunehmend erkennt, dass es um die Nachfolge Angela Merkels geht. Wem wird zugetraut, einen Staat in diesen national und international unsicheren Zeiten zu führen? Bislang hat sich nur die SPD mit Olaf Scholz klar positioniert. CDU/CSU werden dies in den kommenden Wochen tun müssen. Auch die Grünen werden sich entscheiden. Am vergangenen Sonntag hat der SPD-Parteivorstand den Entwurf des Zukunftsprogramms für die Bundestagswahl und die kommenden vier Jahre beschlossen: Den Entwurf des Zukunftsprogramms finden Sie/findet Ihr hier. Der Entwurf wird nun in den Gliederungen diskutiert. Auch in der Region wird es mit den vier Bundestagskandidat:innen Diskussionsangebote geben. Der Bundesparteitag wird dann die endgültige Fassung am 9. Mai 2021 beschließen. Ich selbst halte das Programm für eines der besten, seit ich für den Bundestag kandidiere. Es stellt die richtigen Fragen und bietet unter Bezugnahme auf den Markenkern der SPD Antworten für Zusammenhalt und Zukunft in diesen Zeiten. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es uns gelingt, in den kommenden Wochen und Monaten noch richtig Boden gutzumachen. Dafür habt Ihr mir mit dem tollen Nominierungsergebnis ordentlich Rückenwind gegeben. Und auch das ist ein Grund, warum ich trotz der aktuellen Situation hoch motiviert bin, mit Euch alles in den kommenden Monaten zu geben, um für soziale und demokratische Grundprinzipien in dieser polarisierenden Zeit zu streiten. Trotz aller Widrigkeiten wünsche ich Euch und Ihnen jetzt aber erstmal etwas Ruhe und frohe – vor allem gesunde – Ostertage! Herzliche Grüße! Dr. Matthias Miersch, MdB Platz der Republik 1 – 11011 Berlin Tel. 030 / 22 77 11 11 – Fax 030 / 22 77 60 99 www.matthias-miersch.de – matthias.miersch@nullbundestag.de Inhaltlich verantwortlich: Dr. Matthias Miersch Foto: Dirk Bleicker © 2021 Matthias Miersch
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Meine Persönliche Erklärung zur aktuellen Lage
